Erstellt am:22.06.2025- Zuletzt aktualisiert:23.07.2025
Palliativmedizin bedeutet, Menschen mit unheilbaren, fortschreitenden Erkrankungen ein möglichst würdevolles und schmerzfreies Leben zu ermöglichen. In den letzten Jahren hat sich Medizinalcannabis als wertvolle Ergänzung in der Palliativversorgung etabliert – nicht als Wundermittel, sondern als Baustein für mehr Lebensqualität. Prof. Dr. Kirsten Müller-Vahl, eine der führenden Expertinnen auf diesem Gebiet, berichtet aus ihrer langjährigen klinischen Erfahrung, wie Cannabis gezielt eingesetzt werden kann, welche Chancen und Grenzen es gibt und warum Aufklärung für Patient:innen, Angehörige und das medizinische Fachpersonal so entscheidend ist.


Mein Name ist Prof. Dr. Kirsten Müller Vahl. Ich bin Fachärztin für Neurologie und Fachärztin für Psychiatrie. Ich arbeite seit vielen Jahren in der Klinik für Psychiatrie, Sozialpsychiatrie und Psychotherapie als Oberärztin an der Medizinischen Hochschule in Hannover. Klinisch interessiere ich mich seit ganz vielen Jahren für Tics, Störungen und für das Tourette Syndrom und biete für diese Erkrankung auch eine Ambulanz in unserer Poliklinik an.
Diese Erkrankung ist auch der Weg gewesen, wie ich überhaupt vor knapp 30 Jahren mittlerweile zum Thema Cannabismedizin gefunden habe, weil mir Patientinnen und Patienten immer wieder berichtet haben, dass wenn sie Cannabis mal nehmen, dass das ihre Krankheitssymptome, besonders ihre Tics bessert. Das hat mein Interesse und meine Aufmerksamkeit geweckt und hat dann letztlich den Weg dazu geführt, dass wir Studien durchgeführt haben, um Menschen mit Cannabis Medikamenten mit dieser Krankheit Tourette Syndrom zu behandeln.
Mich hat das Thema dann zunehmend fasziniert, so dass ich mich auch weiter da engagiert habe. Ich arbeite seit vielen Jahren in der Arbeitsgemeinschaft Cannabis als Medizin und auch in der Internationalen Arbeitsgemeinschaft Cannabis als Medizin und bin dort aktuell auch jeweils erste Vorsitzende. Durch die Kenntnisse, die ich erworben habe, bin ich auch mehrfach als Sachverständige angefragt worden und habe zum Beispiel auch beratend im Bundes stag war ich tätig, zum Beispiel für das Cannabisgesetz 2017, aber jetzt auch in Zusammenhang mit der allgemeinen Legalisierung von Cannabis.
Ja, das muss man ein bisschen in den Kontext der Ausgangssituation setzen. Zum einen haben wir dadurch überhaupt erfahren, weil die Diagnose Tourette und Romantik Störung eine klinische Diagnose ist. Das heißt also, wir befragen die Patienten, untersuchen die Patienten und haben jetzt keine Biomarker, keine Zusatzuntersuchungen, die uns irgendwie helfen, diese Diagnose abzusichern. Und deswegen stellen wir sehr viele Fragen und eine der typischen Fragen an unsere Patientinnen und Patienten, wenn wir denn die Diagnose stellen wollen, ist, was es für Einflussfaktoren auf die Tics gibt.
Und da war damals auffällig, dass Patienten immer wieder berichtet haben, dass wenn sie Cannabis mal rauchen, dass das ihre Symptome verbessert. Zu der Zeit gab es damals Untersuchungen, ob vielleicht Nikotin in Form von Zigaretten und oder Kaugummis auch Symptome des Tourette und Rums verbessern könnte. Und deswegen haben wir das dann sozusagen vergleichend mal prospektif untersucht. Wir haben Patienten dann aktiv befragt Wenn du rauchst, wenn du Cannabis annimmst, wenn du Alkohol trinkst, wie beeinflusst das deine Krankheitssymptome?
Und haben dann erneut bestätigt gefunden, dass offenbar Cannabis eine Wirkung hat? Das war zurzeit noch extrem ungewöhnlich und unsere ersten Studien, die wir dann nachfolgend durchgeführt haben, waren mit dem THC Medikament Marinol, was wir damals noch aus den USA importieren mussten, um das dann in Kapselform hier den Patienten zu geben. Also das war tatsächlich Neuland zu der Zeit.
Ich habe das immer als herausfordernd und spannend erlebt und habe von Beginn an eigentlich gedacht, dass wir das als Medikament nutzen und untersuchen wollen, ob es sinnvoll eingesetzt werden kann und hatte eigentlich nie die Sorge, dass wir da eine Droge in der Hand haben, wo wir Patienten schädigen können. Wir haben intensiv allerdings auch zu Beginn genau diesen Aspekt mit untersucht und haben sehr sorgfältig und sehr intensiv nach neuropsychologischen Faktoren guckt und immer auch geprüft, ob die THC Behandlung dort negative Wirkung hatte, was wir aber nie feststellen konnten.
Das ist sehr unterschiedlich. Die Tourette Gruppe in Deutschland ist jetzt nicht so groß. Menschen sind mittlerweile zum Glück gut vernetzt. Es gibt zwei aktive Selbsthilfegruppen und so wurde relativ schnell bekannt, was wir da in Hannover tun und dass wir Cannabis Arzneimittel als mögliche neue Behandlungsoptionen testen. Und Patienten, die sich mit dieser Frage bei uns vorstellen, kommen aus ganz unterschiedlichen Hintergründen.
Also wir haben eine Gruppe von Menschen, die schon durch eine Selbsttherapie festgestellt hat, dass ihnen das hilft und sich dann konkret mit der Frage vorstellen kann Man aus dieser im Moment ja noch illegalen Selbsttherapie eine ärztlich begleitete, durch die Krankenkasse finanzierte legale Behandlung Machen also die das direkt als Vorstellungs grund haben. Wir haben dann aber auch Patienten, die sich mit wenig oder gar keinem Wissen über Cannabis Medikamente bei uns vorstellen und die ich dann berate, wenn sie andere Behandlung schon hatten, wenn die nicht ausreichend wirksam waren, was dann noch als Therapieoptionen bleibt.
Und da bin ich es dann zum Teil, die vorschlägt, eine Cannabis Therapie durchzuführen. Viele Patienten sind da relativ offen, weil Cannabis wird häufig auch als natürliches Arzneimittel angesehen. Das muss jetzt nicht immer besser sein, aber hat so eine gewisse positive Konnotation bei vielen Patienten, die manchmal auch eher ablehnend gegenüber chemischen Arzneimitteln sind. Das ist sachlich sicherlich nicht immer begründet und richtig, aber ich erlebe eigentlich mehr Offenheit als Skepsis.
Und es gibt da noch eine Personengruppe, die weder in die erste noch in die zweite Gruppe fällt. Die noch nie Cannabis genommen hat und davon gehört hat und die Auffassung vertritt was Illegales will ich nicht tun. Und wenn eine Therapie, dann immer nur mit ärztlicher Begleitung und die auch mit dieser konkreten Frage kommen, aber noch nie vorher Cannabis eingesetzt haben.
Ein ganz großes Dilemma aktuell ist, dass wir Cannabis Arzneimittel haben. Das Cannabis ja eigentlich auch überall auch illegal verfügbar ist. Dadurch haben wir eine große Erfahrungsmedizin, weil Menschen machen das einfach und erleben dann zum Teil, dass sie eine Verbesserung haben. War Die Studienlage ist in den meisten Indikationen leider relativ schlecht. Wir haben einige relativ gut untersuchte Indikationen. Dazu gehört Schmerz, chronischer neuropathischer Schmerz.
Dazu gehört Spastik. Bei MS war für die ganz große Mehrzahl der Indikationen, wo Menschen Cannabis als Mittel einnehmen, über positive Effekte berichten, fehlen uns die Studien, so dass wir hier sagen müssen wir haben keine ausreichende Evidenz, die tatsächlich beweist, dass Cannabis Arzneimittel hier wirksam sind. Das heißt, wir haben eigentlich eine Situation, die ganz umgekehrt ist zu dem, was wir typischerweise sonst in der Arzneimittelentwicklung haben.
Der typische Weg ist ja das Arzneimittel wird im Labor entwickelt, wird dann im Experiment getestet, dann an gesunden, dann zunehmend an Kranken. Und erst wenn alle diese Stadien durchlaufen sind, das Arzneimittel sicher und wirksam ist, steht es dann am Markt für die Verordnung zur Verfügung. Bei Cannabis ist es genau umgekehrt. Wir haben es einfach da. Viele Menschen nehmen es.
Aber weil diese Entwicklung eben nicht so stattgefunden hat, fehlen uns die Studien für Wirknachweise. Und wir laufen jetzt sozusagen mit der Forschungs so ein bisschen der Erfahrungsmedizin hinterher. Das ist eine Situation, die wir sonst noch nie so in der Weise hatten. Und weil es ja Hinweise gibt, dass Cannabis Arzneimittel in so vielen verschiedenen Indikationen wirksam sind, ist es nun wirklich eine Herkulesaufgabe.
Das heißt also, wir brauchen ganz viele Studien in ganz vielen Indikationen. Diese Studien müssen alle mit einem guten Design durchgeführt werden. Diese Studien brauchen große Fallzahlen, um dann tatsächlich beweisen zu können, dass Cannabis Arzneimittel wirksam sind. Ich glaube, auf die Sicherheit brauchen wir weniger Acht zu geben, weil da haben wir sehr, sehr viele Daten, die zeigen, dass Cannabis Arzneimittel ausreichend sicher sind.
Und was wir natürlich auch noch berücksichtigen müssen, ist die Frage, welche Cannabis Arzneimittel? Ist es eher THC? Ist es eher CBD? Ist es eher die Kombination von beidem? Also hier sind noch sehr, sehr viele Fragen offen und ich würde mir wünschen, dass wir möglichst zeitnah solche Studien durchführen. Das ist auch sicherlich der einzige Weg, wie wir Menschen, die aktuell skeptisch sind, überzeugen können.
Die sagen zu Recht Zeigt mir die Daten und ich glaube, nur den Daten. Und dann wird sich sicherlich auch herausstellen, auf die eine oder andere Indikation vielleicht tatsächlich nur ein Placebo Effekt war und hier keine Wirksamkeit nachgewiesen werden kann. Und das große Dilemma ist, dass solche Studien sehr teuer sind. Die muss irgendjemand finanzieren. Hier gibt es eigentlich nur zwei Möglichkeiten Entweder die Pharmaunternehmen oder aber aus öffentlicher Hand.
Hier könnte man durchaus auch überlegen, ob man sich vielleicht mal zusammentut, gemeinsam einen großen Forschungs Fördertopf befüllt und dann kompetitiv an Forschende die Möglichkeit gibt, sich mit Anträgen hier zu bewerben. Aber die Datenlage muss sicherlich verbessert werden und hier hoffe ich sehr, dass wir dann dadurch weitere Erkenntnisse gewinnen werden. Im Moment haben wir ja eine gesetzliche Regelung, die einen sogenannten Genehmigungsvorbehalt vorsieht.
Das heißt also, abgesehen von der spezialisierten ambulanten Palliativversorgung SHPV müssen wir Kostenübernahme Anträge stellen. In bestimmten Situationen werden die sehr schnell und sehr unkompliziert bewilligt. Aber in der Mehrzahl der Fälle ist das ein leider sehr mühsames Unterfangen. Und gerade bei psychischen Erkrankungen werden diese Kostenübernahme Anträge sehr häufig abgelehnt, was bei den Ärztinnen und Ärzten zum Teil auch glaube ich fast schon zu einer gewissen Resignation führt, wenn man in einer bestimmten Indikation, nehmen wir vielleicht mal ADHS fünf sechs Anträge stellt und selber fest davon überzeugt ist, dass das ein guter Therapie ansatz wäre.
Denke die Anträge sind gut begründet und trotzdem werden sie immer wieder abgelehnt. Dann ist man natürlich irgendwann frustriert und sagt Na ja, jetzt mache ich das nicht ein siebtes oder achtes Mal, sondern hört dann eigentlich auch wieder auf. Und hier würde ich mir wünschen und es gibt auch von vielen Verbänden entsprechende Forderungen, dass wir diesen Genehmigungsvorbehalt streichen. Im Moment ist der GBA ja auch vom Gesetzgeber aufgefordert, diesen Prozess noch mal neu zu denken und umzudefinieren.
Es gibt momentan ja Überlegungen, dass bestimmte Facharztgruppen möglicherweise auch mit bestimmten Zusatzqualifikationen hier ausgenommen werden. Ich fände eigentlich am besten, das haben wir auch in anderen Bereichen, wenn man bestimmten Qualifikations nachweis erbringen muss. Ideal wäre ein Qualifikationsnachweis, nicht wie aktuell überlegt, in Schlaf medizin oder Sozialmedizin, sondern tatsächlich in Cannabismedizin. Und wenn jemand wodurch auch immer, das kann man ja alles definieren dann nachweisen kann, dass er davon was versteht und auch verstanden hat, wann die Behandlung vielleicht sinnvoll ist und wann nicht.
Und dann kann man vielleicht sogar noch so einen gewissen Artkodex unterschreiben und sagen okay, ich verpflichte mich erst etablierte Therapien einzusetzen. Das ist ja alles möglich, das kann man ja alles tun. Aber dass man dann für eine Gruppe von hoch qualifizierten Ärztinnen und Ärzten, die verantwortungsbewusst mit dieser Therapie umgehen, diesen Genehmigungsvorbehalt streicht. Und ich glaube auch nicht, dass das unterm Strich zu einer Kostenexplosion führen wird.
Warum? Weil auf der einen Seite, wenn das nicht wirkt, dann setzen Patientinnen und Patienten die Medikation wieder ab. Niemand nimmt was, was ihm nicht hilft, niemand nimmt was, was mehr Nachteile als Vorteile bringt. Das ist bei Cannabis Medikamenten nicht anders als bei allen anderen Medikamenten auch. Und wenn es wirkt, dann können ja möglicherweise Kosten für andere Medikamente eingespart werden.
Und was man nicht vergessen darf bei diesen ganzen Rechnungen es gibt ja auch immer indirekte Folgekosten. Ich kenne Patienten, die sagen, ohne Cannabis Therapie wäre ich nicht arbeitsfähig. Das heißt also, hier sparen wir, wenn wir Menschen so gut helfen können mit Arzneimitteln und Cannabis Medikamenten, dass sie sogar berufstätig wir sind, sparen wir natürlich unendlich viel Kosten, die wir sonst hätten, wenn das nicht mehr der Fall wäre.
Ich habe eigentlich mehrere Wünsche. Ich hätte einmal den Wunsch, ganz konkret im Zusammenhang mit dem medizinischen Cannabis Gesetz, dass der Genehmigungsvorbehalt abgeschafft wird und dass qualifizierte Ärztinnen und Ärzte es leichter haben, Cannabis Arzneimittel einzusetzen. Ich habe dann den Wunsch, dass das Cannabisgesetz zum Konsum in Kraft tritt, weil das wird auch Auswirkungen auf die medizinische Versorgung haben. Und insbesondere wird es für Patienten, die aktuell keine Kostenübernahme durch ihre Krankenkasse haben, die Konsequenz haben, dass sie nicht mehr illegal Cannabis einnehmen müssen und von Strafverfolgung bedroht sind.
Und im Hinblick auf Forschung hätte ich die Hoffnung und den Wunsch, dass es eine Art Konsens gibt zwischen allen Beteiligten in diesem Bereich. Und da könnte zum Beispiel ein konkreter Vorschlag sein Alle Firmen, die im Bereich Cannabis Arzneimittel aktiv sind, tun sich zusammen und legen alle eine Summe fix in einen großen Topf. Und vielleicht könnte ja der Bund, Deutsche Forschungsgemeinschaft oder BMBF sagen okay, wenn ihr das tut, dann legen wir zu jedem Euro einen Euro drauf und dann würde man sehr schnell, glaube ich, sehr viel Geld zusammensammeln können.
Also wir sprechen hier von zweistelligen Millionenbeträgen, aber wenn man so viel Geld zusammen hat, dann kann man und die Summe sich durch so viele Leute oder Firmen teilt oder Gruppen. Dann kann man glaube ich auch einen Forschungsaufruf starten. Ganz themenspezifisch Klinische Studien im Bereich Cannabis Arzneimittel. Hier könnten sich dann Forschende bewerben und auf diesem Wege hätte man dann, glaube ich, die große Chance, trotz aller Probleme, die ja sonst immer mit der Finanzierung von Studien bestehen, hochqualifizierte Forscherinnen und Forscher in die Lage zu versetzen und designte klinische Studien durchzuführen, dass wir endlich mehr Daten haben.
Palliativmedizin richtet sich an Menschen, deren Erkrankung nicht mehr heilbar ist. Im Mittelpunkt stehen die Linderung von Schmerzen, Atemnot, Übelkeit, Angst und anderen belastenden Symptomen – immer unter Berücksichtigung der individuellen Wünsche und Bedürfnisse.
Medizinalcannabis ist dabei kein Ersatz für andere Therapien, sondern eine zusätzliche Option. „Wir setzen Cannabis meist dann ein, wenn klassische Medikamente nicht ausreichen oder zu starke Nebenwirkungen verursachen. Es kann Schmerzen lindern, Appetit und Schlaf verbessern, Angst und Übelkeit reduzieren – und so den Alltag vieler Patient:innen erleichtern.“
Die Cannabispflanze enthält über 100 verschiedene Wirkstoffe, sogenannte Cannabinoide. Die wichtigsten sind THC (Tetrahydrocannabinol) und CBD (Cannabidiol). Beide wirken über das körpereigene Endocannabinoid-System, das an der Regulation von Schmerz, Appetit, Stimmung, Schlaf und vielem mehr beteiligt ist.
In der Palliativmedizin kommen verschiedene Darreichungsformen zum Einsatz:
„Die Auswahl des Präparats sowie die Dosierung erfolgt immer individuell und in enger Absprache mit den Patient:innen“, so Prof. Dr. Müller-Vahl. „Gerade in der Palliativmedizin ist es wichtig, auf die Bedürfnisse der Betroffenen flexibel zu reagieren.“
Medizinalcannabis kann eine Vielzahl von belastenden Symptomen lindern:
Im Vergleich zu vielen anderen Medikamenten in der Palliativmedizin gilt Medizinalcannabis als gut verträglich. Die häufigsten Nebenwirkungen sind leichte Müdigkeit, Mundtrockenheit, gelegentlich Schwindel oder Benommenheit. „Im Unterschied zu Opioiden verursacht Cannabis keine Organschäden, keine Atemdepression und kein relevantes Abhängigkeitspotenzial im medizinischen Kontext“, erläutert Prof. Dr. Müller-Vahl.
Ein weiterer Vorteil: „Cannabis kann oft dazu beitragen, die Dosis anderer Medikamente – etwa starker Schmerzmittel – zu reduzieren. Das senkt das Risiko für Nebenwirkungen deutlich.“ Die Therapie sollte jedoch immer durch erfahrene Ärzt:innen begleitet werden, um die optimale Dosis zu finden und mögliche Wechselwirkungen zu erkennen.
In Deutschland ist Medizinalcannabis seit 2017 als verschreibungspflichtiges Medikament zugelassen. Es kann bei schwerwiegenden Erkrankungen und nach sorgfältiger Prüfung durch die behandelnde Ärztin oder den Arzt verordnet werden, wenn andere Therapien nicht ausreichend helfen oder nicht vertragen werden.
„Die Antragstellung bei der Krankenkasse kann aufwendig sein, aber die meisten Palliativpatient:innen erhalten nach sorgfältiger Dokumentation eine Genehmigung“, berichtet Prof. Dr. Müller-Vahl. Wichtig ist eine enge Zusammenarbeit zwischen Ärzt:innen, Patient:innen, Angehörigen und Apotheken.
„Wir achten stets darauf, dass die Therapie individuell, ethisch vertretbar und im Sinne der Patient:innen erfolgt. Ziel ist nicht die Verlängerung des Lebens um jeden Preis, sondern die Verbesserung der Lebensqualität.“
Ein zentrales Thema für Prof. Dr. Müller-Vahl ist die Aufklärung – sowohl im Gespräch mit Patient:innen und Angehörigen als auch gegenüber Kolleg:innen und der Öffentlichkeit.
„Es gibt noch immer viele Vorurteile gegenüber Cannabis als Medizin. Viele denken an das Rauschmittel, nicht an das Medikament. Es ist unsere Aufgabe als Ärzt:innen, sachlich zu informieren, Ängste zu nehmen und die Unterschiede klar zu machen – ähnlich wie bei Morphin, das als Schmerzmittel unverzichtbar ist, aber als Droge stigmatisiert wird.“
Die Aufklärung umfasst:
„Nur durch offene, ehrliche Gespräche können wir Vorurteile abbauen und Patient:innen die bestmögliche Versorgung bieten.“
Erfahrungen aus der Praxis: Fallbeispiele und Patientenstimmen
Prof. Dr. Müller-Vahl berichtet von zahlreichen Fällen, in denen Medizinalcannabis das Leben schwerkranker Menschen spürbar erleichtert hat.
„Eine ältere Dame mit weit fortgeschrittenem Tumorleiden litt unter starken Schmerzen, Appetitlosigkeit und Schlaflosigkeit. Trotz verschiedener Medikamente blieb die Lebensqualität eingeschränkt. Nach Beginn der Cannabistherapie konnte sie wieder essen, besser schlafen und war tagsüber wacher und ausgeglichener.“
Auch Angehörige berichten von positiven Veränderungen: „Viele sagen, dass ihre Liebsten wieder mehr am Leben teilnehmen, weniger leiden und sich insgesamt wohler fühlen.“
Diese Erfahrungen zeigen: Medizinalcannabis ist kein Allheilmittel, aber für viele ein wichtiger Baustein für mehr Lebensqualität am Lebensende.
Trotz aller Vorteile gibt es auch Grenzen. „Cannabis kann keine unheilbare Krankheit heilen, das Fortschreiten der Erkrankung nicht aufhalten. Es lindert Symptome, ersetzt aber nicht andere wichtige Maßnahmen wie Schmerztherapie, Physiotherapie, seelische Begleitung oder palliative Pflege.“
Auch die Wirkung ist individuell unterschiedlich. „Was bei einem Menschen hervorragend wirkt, hilft einem anderen vielleicht kaum. Deshalb ist eine kontinuierliche ärztliche Begleitung und Anpassung der Therapie so wichtig.“
Bürokratie und Vorurteile können die Versorgung erschweren. „Wir brauchen mehr Aufklärung, weniger Hürden und eine größere Offenheit im Gesundheitssystem.“
Palliativmedizin ist Teamarbeit. Neben Ärzt:innen sind Pflegekräfte, Sozialarbeiter:innen, Psycholog:innen und vor allem die Angehörigen wichtige Partner. „Die Einbindung des Umfelds ist entscheidend für eine gelungene Therapie“, betont Prof. Dr. Müller-Vahl.
„Wir beraten Angehörige, klären über die Möglichkeiten und Grenzen der Cannabistherapie auf und beziehen sie aktiv in die Versorgung ein. Nur so gelingt es, Ängste zu nehmen, Unsicherheiten zu reduzieren und gemeinsam die bestmögliche Lebensqualität zu erreichen.“
Prof. Dr. Müller-Vahl sieht die Aufklärung nicht nur als medizinische, sondern auch als gesellschaftliche Aufgabe: „Wir müssen die Unterschiede zwischen medizinischem und freizeitlichem Cannabiskonsum klar machen. Cannabis ist in der Palliativmedizin ein sicheres, gut verträgliches Medikament – kein Rauschmittel.“
Sie fordert mehr Fortbildungen für medizinisches Personal, mehr Informationsangebote für Patient:innen und Angehörige und einen offenen gesellschaftlichen Dialog. „Nur so können wir das Stigma abbauen und allen Menschen die Therapie ermöglichen, die sie brauchen.“
Aus ihrer Erfahrung gibt Prof. Dr. Müller-Vahl folgende Tipps:
Für Prof. Dr. Kirsten Müller-Vahl ist Medizinalcannabis ein wichtiger Baustein in der Palliativmedizin – nicht als Allheilmittel, aber als Option für mehr Linderung, Würde und Lebensqualität. Entscheidend sind eine individuelle, ärztlich begleitete Behandlung, fundierte Aufklärung und ein offener gesellschaftlicher Dialog.
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Nein, die Wirkung ist individuell unterschiedlich. Etwa 75% der Patienten berichten von Verbesserungen. Wenn Cannabis nicht hilft, gibt es andere Optionen - Ihr Arzt findet mit Ihnen die beste Lösung.
Die häufigsten Nebenwirkungen sind u. a. anfängliche Müdigkeit, Schwindel oder trockener Mund.5 Durch eine ärztliche Begleitung und individuelle Dosierung können die Nebenwirkungen minimiert werden. Für Palliativpatienten überwiegen die Vorteile meist deutlich die Nebenwirkungen.
5. Bar-Lev Schleider L, Mechoulam R, Sikorin I, Naftali T, Novack V. Adherence, Safety, and Effectiveness of Medical Cannabis and Epidemiological Characteristics of the Patient Population: A Prospective Study. Front Med (Lausanne). 2022 Feb 9;9:827849. doi: 10.3389/fmed.2022.827849.
Medizinalcannabis kann in der Palliativversorgung in Einzelfällen andere Medikamente ergänzen oder deren Dosis reduzieren. Änderungen in der Medikation sollten immer ärztlich überwacht werden.1
1 Rasche, T., Emmert, D., Radbruch, L. et al. Cannabis und Cannabinoide in der Palliativversorgung. Bundesgesundheitsbl 62, 830–835 (2019). https://doi.org/10.1007/s00103-019-02967-1
Medizinalcannabis kann bei Krebspatient:innen positive Effekte auf Schmerzen, Übelkeit, Erbrechen, Appetitstörungen, Schlafprobleme und Müdigkeit haben. Auch bei Patient:innen mit Demenz sowie bei AIDS-Patient:innen mit Appetitlosigkeit, Übelkeit und Erbrechen wurden positive Wirkungen beobachtet. Insgesamt kann sich dadurch die Lebensqualität verbessern.1,2
1 Rasche, T., Emmert, D., Radbruch, L. et al. Cannabis und Cannabinoide in der Palliativversorgung. Bundesgesundheitsbl 62, 830–835 (2019). https://doi.org/10.1007/s00103-019-02967-1
2 Doppen M, Kung S, Maijers I, John M, Dunphy H, Townsley H, Eathorne A, Semprini A, Braithwaite I. Cannabis in Palliative Care: A Systematic Review of Current Evidence. J Pain Symptom Manage. 2022 Nov;64(5):e260-e284. doi: 10.1016/j.jpainsymman.2022.06.002. Epub 2022 Jun 12.
Etwa 75 % der Patient:innen berichten von einer Verbesserung ihrer Symptome durch Medizinalcannabis. Rund 70 % spüren eine bessere Lebensqualität.3 Medizinalcannabis kann mehrere Symptome wie Schmerzen, Übelkeit, Krämpfe und Schlafprobleme lindern.1
1 Rasche, T., Emmert, D., Radbruch, L. et al. Cannabis und Cannabinoide in der Palliativversorgung. Bundesgesundheitsbl 62, 830–835 (2019). https://doi.org/10.1007/s00103-019-02967-1
3 Abschlussbericht der Begleiterhebung nach § 31 Absatz 6 des Fünften Buches Sozialgesetzbuch zur Verschreibung und Anwendung von Cannabisarzneimitteln, Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte, 2022, Online zu finden unter: https://www.bfarm.de/SharedDocs/Downloads/DE/Bundesopiumstelle/Cannabis/Abschlussbericht_Begleiterhebung.pdf?__blob=publicationFile (zuletzt aufgerufen am 18.07.2025)